Bei einer Fahrt mit dem Schienenersatzverkehr nach Stuttgart unterhielten sich zwei junge Frauen, die mir direkt gegenübersaßen über „gute Sitten“. Nach einer Weile merkte ich, dass es sich um „gute Sitten“ im juristischen Sinne handelte.
„Sitte“ ein Prinzip, auf dem das Leben eines Christenmenschen basieren kann.
Der Begriff erscheint zunächst etwas angestaubt. Als freie und selbstbestimmte Menschen wollen wir uns nicht in überkommene Regeln oder angestaubte Bräuche einzwängen lassen. Soll nicht jeder so leben wie er will, solange er dem anderen nicht schadet?
Gewiss, Freiheit und Toleranz sind hohe und schützende Werte. Aber es wäre zu kurz gegriffen, wenn man dabei stehen bliebe. Gerade angesichts eines schier unüberblickbaren Angebotes von Lebenskonzepten und -formen drängt sich doch die Frage auf: Wie lebe ich denn richtig? Wie mach ich etwas Gutes aus meinem Leben? Ich kann doch nicht alles ausprobieren, meine Lebenszeit ist begrenzt – und meine Einsicht auch.
„Sitte“ will eine Lebensform anbieten, die vom christlichen Glauben geprägt und durch die Erfahrung von Menschen vieler Jahrhunderte verifiziert ist. Das gibt Halt und Orientierung. In unserer Zeit ist das viel wert. Deswegen ist es gut, sich immer wieder zu fragen, was denn nun konkret die „Sitten“ sind, die von den Menschen geschützt werden sollen.
Aber „Sitte“ überzeugt erst dann, wenn sie nicht nur gedacht, sondern wenn sie gelebt wird, z.B. wenn wir uns füreinander einsetzen, einander ertragen und verzeihen, treu zueinanderstehen und den Mut haben, den Mund aufzumachen, wenn etwas in die falsche Richtung läuft.
Ich wünsche uns, dass wir eine Gemeinschaft sind, die eine Lebensart vorlebt, die heute noch trägt und Menschen zu einem erfüllten, sinnvollen Dasein führt.
Diakon Bernd-Günter Barwitzki,ofs